Der Zynismus ist erschreckend: 23.000 Mitarbeiter der Karstadt-Kaufhaussparte des Arcandor-Konzerns werden bald ihren Job verlieren, weil es für die Firma, in der sie arbeiten, kein Geld aus dem staatlichen Rettungsschirm gibt. Sie haben das Pech, anders als die Opel-Arbeiter, für den Standort Deutschland nicht wichtig zu sein – sie sind schließlich nur Beschäftigte in der Niedriglohn-Branche Handel.
Es ist ja richtig, dass der ehemalige Manager des neoliberalen Musterkonzerns Bertelsmann und jetzige Arcandor-Boss Thomas Middelhoff schlecht managt. Und es ist auch richtig, dass das Konzept Kaufhaus schon lange in der Existenzkrise steckt. Doch das ist kein Grund, 23.000 Arbeitsplätze direkt und weitere 27.000 beim Arcandor-Konzern indirekt zu gefährden (und nebenbei viele deutsche Innenstädte dem „downgrading“ anheim zu geben).
Erste Fassung: 26.5.2009
UPDATE: taz-Autorin Beate Wilms weist in der heutigen Ausgabe (26.5.2009) auf einen weiteren Aspekt hin, der wohl dazu führt, dass der Staat Karstadt Pleite gehen lässt: die Mitarbeiter der bereits Pleite gegangenen Hertie-Warenhäuaser und von Karstadt waren diejenigen, die mit ihrer Gewerkschaft ver.di für bessere Löhne streikten, überall Betriebsräte installierten und auch Arbeitnehmervertreter in die Aufsichtsräte entsandten. Für die Neoliberalen, die staatliche Rettungsgelder verteilen, vielleicht ein zusätzlicher Grund, den Karstadt-Mitarbeitern Hilfe zu verweigern.
UPDATE 2 (4.6.2009): Der einzig ernst zu nehmende Diskussionsbeitrag, den die Kritiker von Staatsbürgschaften für Karstadt anführen ist, dass Mitbesitzerin Schickedanz, ein wenig Geld von ihren Milliarden für die Rettung ihres Unternehmens abzweigen könnte.
UPDATE 3 (5.6.2009): Das Quelle-Versandhaus – heute Teil des Arcandor-Konzerns – war mal sozial vorbildlich: Schon 1961 hatte diese Firma einen ganztägig geöffneten Betriebskindergarten, der es unter anderem einer 17-jährigen Schwangeren ermöglichte, dort eine Lehre zu machen, nachdem sie wegen ihrer Schwangerschaft vom Abitur ausgeschlossen wurde. Der Name des Mädchens: Renate Schmidt, später Abteilungsleiterin, Betriebsrätin und SPD-Bundestagsabgeordnete Renate Schmidt. (Quelle: Süddeutsche Zeitung). Wieder so Sozialklimbim, der weg muss – besonders jetzt, wo Einzelhandels-Angestellte wieder mal um Lohnerhöhungen streiken. Und da kommen auch Fusionspläne entgegen: Denn der von der Regierung favorisierte nächste Kaufhaus-Monopolist Metro ist nicht gerade als arbeitnehmerfreundlich bekannt. Abgesehen davon, dass das künftige Monopol mit der Schließung von 30 Karstadt und 10 Galeria-Kaufhof Filialen erkauft wird.
UPDATE 4 (9.6.2009): Bei der jetzt auch von der SPD favorisierten Fusion interessant ist ja, dass ausgerechnet die Wettbewerbsfanatiker hier ein neues Monopol schaffen. Mein Verdacht war ja immer schon, dass die volkswirtschaftlichen Konkurrenz-Modelle idealer Märkte mit der Praxis nix zu tun haben und die Bildung von Mono-/Oligopolen und Kartellen das eigentliche Ziel ist (um Mitarbeiter und Kunden besser ausbeuten zu können). Und noch was: Wenn man über Arcandor redet wird meist nur Karstadt erwähnt und Quelle vergessen. Dabei hängen auch am Versandhaus viele tausend Arbeitsplätze – nicht nur im Konzern, sondern z.B. auch 4000 bei der Post-Tochter DHL, die überflüssig wären, würde das Versandhaus im Strudel einer Insolvenz verschwinden (Quelle: Sonntag aktuell). Schließlich noch: Der rückzahlbare 437 Millionen Euro Notkredit entspricht 17.000 Euro für jeden der auf dem Spiel stehenden 26.000 Jobs. Langzeitarbeitslosigkeit kommt den Staat um ein vielfaches teurer!
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