Mittel der Armen zu den Reichen dirigiert

Normalerweise nehmen wir an, dass der Staat das Geld von den Reichen zu den Armen umverteilt. In diesem Fall aber wurden die Mittel der Armen und Durchschnittsverdiener zu den Reichen dirigiert.
Sie mussten genau jenen Institutionen Geld zukommen lassen, von denen sie vorher jahrelang abgezockt wurden – durch räuberische Kreditvergabe, Wucherzinsen bei Kreditkarten und undurchsichtige Gebühren. Und dann mussten die Steuerzahler auch noch zusehen, wie ihr Geld benutzt wurde, exorbitante Boni und Dividenden auszuzahlen. Dividenden sind eigentlich Anteile am Gewinn, in diesem Fall waren sie einfach Anteile an staatlichen Geschenken.
Die Bankenrettung enthüllte die allumfassende Heuchelei. Diejenigen, die unter Hinweis auf den Staatsetat Zurückhaltung gepredigt hatten, als es um kleine Sozialprogramme für die Armen ging, forderten nun lautstark das größte Sozialprogramm der Welt. Diejenigen, die der Tugend der „Transparenz“ das Wort redeten, schufen letztlich ein so undurchschaubares Finanzsystem, dass die Banker nicht einmal mehr ihre eigenen Bilanzen verstanden.
Und dann wurde auch noch der Staat in immer undurchsichtigere Formen der Bankenrettung gedrängt, um so zu vertuschen, dass es um Geschenke für die Banken ging. Diejenigen, die von „Rechenschaftspflicht“ und „Verantwortung“ gesprochen hatten, wollten nun den Schuldenerlass für den Finanzsektor.

Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in einem K0mmentar für die „Süddeutsche Zeitung“ (Online-Ausgabe)


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