SPD klagt Sarrazin an

In einem bemerkenswerten Aufsatz („Die Zeit 16.9.2010) nimmt sich der SPD-Vorsitzende Siegmar Gabriel Thilo Sarrazins bevölkerungspolitische Thesen vor und zeigt, warum diese Thesen nicht mit sozialdemokratischen Grundwerten vereinbar sind und Sarrazin deshalb aus der Partei ausgeschlossen werden muss. Hier die wichtigsten Zitate:

„…Liest man … sein Buch, stellt man fest: Es geht darin im Kern gar nicht um Integration. Es ist ein Buch über „Oben“ und „Unten“ … und darüber, warum es nicht nur gerecht, sondern auch aus biologischen Gründen völlig normal ist, dass es dieses „Oben“ und „Unten“ gibt…

Er greift… zurück auf bevölkerungspolitische Theorien, die Ende des 19. Jahrhunderts und inder ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grundlage für die schrecklichsten Verwirrungen … wurden. Staatliche Entscheidungen über gewünschtes und unerwünschtes Leben führten in Schwedern – unter Anleitung von Sozialdemokraten (!) – zu 60 000 Sterilisationen… Am katastrophalen Ende bemächtigten sich die Nationalsozialisten der Eugenik…

Es gibt also reale Erfahrungen mit den Allmachtsfantasien einer Politik, die meint die besseren Menschen schaffen zu können… Wie weit muss man sich intellektuell verirren, um die Ereignisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollständig auszublenden, obwohl sie natürlich der grauenhafteste „empirische Befund“ waren, den man für die Unzulässigkeit derartiger „Fragestellungen“ finden kann. Das Grundgesetz ist ja – den Nürnberger Ärzteprozess noch vor Augen – gerade gegen diese Verbindung der sozialen mit der genetischen Frage geschrieben worden…

Für Sarrazin beruht die Schichtung einer Gesellschaft … überwiegend auf natürlicher biologischer Auslese. Einflussfaktoren wie Einkommensverhältnisse, Bildung, Sozialstatus, kulturelle Prägung, Integration … in den Arbeitsmarkt sind für ihn zu vernachlässigende Restgrößen. Der Erfolg oder Misserfolg einer Gesellschaft ist für Sarrazin deshalb vor allem davon abhängig, dass die „richtigen“ Menschen viele Kinder bekommen, um hre Intelligenz zu vererben…

Mit „vom Menschen gesteuerter negativer Selektion“ mein Sarrazin nicht nur die Zuwanderung muslimischer Migranten… Er meint auch zu hohe Sozialhilfesätze, die es unteren Schichten ermöglichen, Kinder zu ernähren… Thilo Sarrazins Bevölkerungspolitik hat nicht „nur“ Aische und Ali im Sinn. Es geht ihm auch um Kevin und Cornelia, wenn sie nicht aus der richtigen Schhicht kommen…

Das gleiche gilt für den Länderfinanzausgleich zwischen dem Süden und dem Norden… Nicht die Deindustrialisierung des Nordostens nach der Wiedervereinigung ist also schuld am hohen Anteil von Hartz-IV-Empfängern, sondern die genetisch bedingt weniger tüchtige Bevölkerung. Wer denen … im Nordosten Geld gibt, der schmeißt für Thilo Sarrazin nur Geld zum Fenster hinaus… Aber eigentlich ist das Ganze noch viel Schlimmer, denn selbst die Abwanderung aus dem Norden in den Süden ist ein Ausweg: Wenn sich nämlich die Norddeutschen mit den Süddeutschen … vermischen, sinkt die durchschnittliche Intelligenz der Süddeutschen. Wohlgemerkt: Dieser absurde Unsinn stammt nicht aus einer Aschermittwochsrede in Bayern, sondern aus dem medial wie kein zweites Buch gehypten angeblichen „Integrations-Bestseller“…

Obwohl Sarrazin längere Ausführungen der Bildungspolitik widmet, zweifelt er doch an deren Wirksamkeit… Wenn also heute 40 Prozent der ausländischen Jugendlichen in Deutschland keinen berufsqualifizierenden Abschluss machen, dann liegt das dem Grunde nach an den Mendelschen Gesetzen und nicht etwa an mangelnder Sprachförderung oder fehlenden Ganztagesschulen. Es liegt dann übrigens auch nicht am mangelnden Integrationswillen vieler zugewanderter Eltern… Nimmt man Sarrazin ernst, ist es egal, ob sich die Eltern anstrengen, ihre Kinder zur Sprachförderung in den Kindergarten schicken oder die Hausaufgaben kontrollieren. Der Misserfolg ist ja bereits genetisch angelegt…

Auch von lebenslangem Lernen hält der Autor nichts. Wer körperlich arbeitet ist für ihn dort richtig aufgehoben… „Jeder auf seinen Platz!“ Selten hat es eine so unverblümte Wiederbelebung der ständischen Gesellschaft gegeben…

Thilo Sarrazin scheut sich … auch nicht, Vorschläge dafür zu machen, wie man diese gezielte Auswahl von scheinbar werthaltigen Eltern voranbringen könnte… Die Forderung, hohe staatliche Gebärprämien gezielt für unter 30-jährige Akademikerinnen auszuloben, klingt schon einigermaßen absurd. Die dann allerdings beschriebene politische Aufgabe, diese nur jenen Frauen zukommen zu lassen, die aus der richtigen gesellschaftlichen Gruppe kommen, ist zutiefst verstörend… Thilo Sarrazin führt keine Integrations-, sondern eine Selektionsdebatte.

Sarrazin greift dabei … auf Francis Galton zurück… Galton ist ein britischer Naturforscher, der im 19. Jahrhundert als Vater der modernen Eugenik von dem Gedanken beseelt war, „die Qualität der Menschheit durch gezielte Auswahl der Eltern zu verbessern.“

Es ist also im Deutschland des 21. Jahrhunderts möglich, mit den eugenischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts stürmischen Beifall zu erzeugen… Wenn mir etwas Sorge macht, dann nicht Sarrazins Buch, das ich für das absurde Ergebnis eines Hobby-Darwins halte. Viel mehr Sorge macht mir, dass dieser Rückgriff auf die Eugenik in unserem Land gar nicht mehr auffällt, ja mehr noch als „notwendiger Tabubruch“ frenetisch gefeiert wird… Wem es bei der Botschaft „neues Leben nur aus erwünschten Gruppen“ nicht kalt über den Rücken läuft, der hat wohl nichts begriffen…

Wer uns empfiehlt, diese Botschaft in unseren Reihen zu dulden, der fordert uns zur Aufgabe all dessen auf, was Sozialdemokratie ausmacht: unser Bild vom freien und zur Emanzipation fähigen Menschen…

Sarrazin und seine medialen Helfershelfer sind dabei, Theorien der staatlichen Genomauswahl … hoffähig zu machen. Andere und Schlimmere werden sich darauf berufen. Wer unter dem Banner der Meinungsfreiheit („Das wird man doch wohl noch sagen dürfen…“) ethnische … Ressentiments in der Politik wieder geschäftsfähig macht, der bereitet den Boden für die Hassprediger im eigenen Volk…“


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Kommentare

Eine Antwort zu „SPD klagt Sarrazin an“

  1. Gegen Ende des Jahres gab es in Deutschland die grosse Sarrazin Debatte. Was ist seither geschehen, nichts, aber auch gar nichts. Das zeigt mir doch wieder die Unfähigkeit der Politik. In einem Namensbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ rechnet Sarrazin mit seinen Kritikern ab, spricht von „Inquisition“, „Verbannung, „Scheiterhaufen“. Die Politiker sollten das als Weckruf begreifen, denn wenn sie nichts machen, wird sicher irgendwann jemand kommen, der sich nicht so leicht rauskaufen lässt wie der Sarrazin.

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