„Der relative Erfolg des Keynesianismus im Nachkriegsboom war an bestimmte strukturelle Voraussetzungen gebunden, … die er … nicht selbst erzeugt hatte und erzeugen konnte. Solange die industrielle Massenarbeit expandierte und den Motor eines selbstragenden Booms der Kapitalverwertung ausmachte, war die keynesianische Regulations- und Umverteilungspolitik durchaus funktional. Der Ausbau der Sozialsysteme und der Anstieg der Reallöhne trugen nicht nur zur sozialen Befriedung bei, sondern stabilisierten auch den Wirtschaftsaufschwung, weil sie den Massenkonsum stärkten. Mindestens genauso wichtig war der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, ohne den die flächendeckende Industrialisierung und die Durchökonomisierung der Gesellschaft nicht funktioniert hätte: Autos konnten ohne eine dichtes Straßennetz nicht fahren, die Elektrifizierung der Haushalte erforderte eine ausreichende Stromversorgung und für die Ausbildung von Fachkräften war ein gutes, breitgefächertes Schul- und Hochschulwesen notwendig.
Dem Staat fiel also eine zentrale Rolle zu und das nährte die Vorstellung, er sei auch in der Lage, die wirtschaftliche Entwicklung langfristig in Gang zu halten, zu steuern und zu stabilisieren. Aber als der fordistische Nachkriegsboom zu Ende ging, erwies sich das als Illusion. Denn in dem Maße wie die Kapitalverwertung ins Stocken kam, weil aufgrund der rapide steigenden Produktivität immer mehr Arbeitskräfte freigesetzt wurden, versiegte nicht nur die Quelle für die Finanzierung der staatlichen Aktivitäten. Gravierender noch war, dass es trotz massiver kreditfinanzierter Konjunktur- und Wachstumsprogramme nicht gelang, einen neuen Schub selbsttragender Kapitalverwertung in Gang zu setzen.
… der flächendeckenden Rationalisierung im Gefolge der dritten industriellen Revolution, die letztlich die Grundlagen der Kapitalverwertung untergräbt, stand der Keynesianismus hilflos gegenüber. Alle Versuche, die Realwirtschaft aus der Stagflation herauszuführen, scheiterten kläglich.
Das war der tiefere Grund für den Siegeszug des Neoliberalismus. Der hatte zwar auch kein Konzept um die Kapitalverwertung wieder auf Touren zu bringen, aber er bereitete den Boden für die Verlagerung der wirtschaftlichen Dynamik hin zur ‚Finanzindustrie‘ und damit für den Krisenaufschub der nächsten drei Jahrzehnte. Entscheidend dafür war einerseits die konsequente Liberalisierung der Finanzmärkte und andererseits die Aufblähung der Staatsverschuldung durch die Reagan-Regierung, die eine Art gigantischer Anschubfinanzierung für die Akkumulation des fiktiven Kapitals leistet. Die Zerschlagung der fordistischen Strukturen durch Entmachtung der Gewerkschaften … tat ihr Übriges dazu, während gleichzeitig die Privatisierung des öffentlichen Sektors neue Felder für Finanzanlagen eröffnete, zum Beispiel durch die Umwandlung der staatlichen Rentensysteme in private Lebensversicherungen.“
Ausschnitt aus dem dritten Teil eines Interviews der Telepolis mit Ernst Lohoff und Norbert Trenkle über Ursachen der kapitalistischen Krise. Lohoff und Trenkle sind Autoren des Buches „Die große Entwertung – Warum Spekulation und Staatsverschuldung nicht die Ursachen der Krise sind“.
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