Diskussionen zum Thema „Arbeit 4.0 / Industrie 4.0“ – also zu den Auswirkungen der umfassenden Digitalisierung – nehmen immer dann eine interessante Wendung, wenn im Rahmen einer solchen Diskussion die zukünftige Entwicklung eines Wirtschaftszweiges oder Berufsfeldes diskutiert wird. Wird etwa versucht, die „digitale Revolution“ für den Wirtschaftszweig Straßentransportlogistik und damit den Beruf LKW-Fahrer*in zu erörtern, zeigt sich sofort das Phänomen einer vollkommen irrationalen Verleugnung der in naher Zukunft zu erwartenden realen Veränderungen, die meist in dem Satz gipfelt: „Selbstfahrende LKW werden niemals in Deutschland fahren“; eventuell noch garniert mit der Schein-Begründung „das wäre viel zu gefährlich“.
Dabei ist schon heute öffentlich sichtbar, dass nicht nur die Automobilkonzerne an selbstfahrenden LKW arbeiten, die schon im nächsten Investitionszyklus der großen Speditionskonzerne „serienreif“ sein werden. Auch die notwendigen Gesetzesänderungen sind längst in der Lobby-Pipeline – sichtbar an den Erlaubnissen für Praxistests verschiedener Technologien. Klar also ist, dass auch für den selbstfahrenden LKW gilt, was die betriebswirtschaftliche Rationalität von Investitionen bestimmt: wenn mit einer Investition soviel menschliche Arbeitskraft „eingespart“ werden kann, dass sich der Aufwand im Abschreibungszeitraum rechnet, wird die Investition getätigt. Wenn also bei der Neuanschaffung eines LKW die Großspedition zusätzlich zu einem ohnehin fälligen Investitionsvolumen von rund 100.000 € für das selbstfahrende Modell 25.000 € zusätzlich fällig werden – dann wird der heute zum Dumpinglohn arbeitende LKW-Fahrer seinen Job mit Sicherheit verlieren. Die betriebswirtschaftliche Logik besagt, dass der selbstfahrende LKW Investitionen im Äquivalent von maximal einem Jahreslohn eines Fahrers erfordert. Bei einem Nutzungszeitraum von nur 5 Jahren, sind dann 4 Jahreslöhne eingespart – noch gar nicht gerechnet, dass ein selbstfahrender LKW keine Ruhepausen oder andere „Sozialleistungen“ braucht. Deshalb ist es eine mit fast vollständiger Sicherheit eintretende Vorhersage, wenn im Rahmen der Digitalisierung damit zu rechnen ist, dass in den nächsten 10 Jahren in Deutschland mindestens 100.000 LKW-Fahrer ihren Arbeitsplatz verlieren werden.
Warum aber wird diese absehbare Realität in allen Diskussionen so hartnäckig verleugnet; gibt es die irrationale Hoffnung, dass irgendeine politische Instanz den Einsatz selbstfahrender LKW verbieten werde? Es ist wohl nur psychologisch zu erklären, dass geleugnet wird, was kommt. Denn nur dieses Leugnen hilft, die Folgen der Digitalisierung zu verdrängen und die irrsinnige Hoffnung aufrecht zu erhalten, es werde „schon nicht so schlimm“ kommen. Schlimm in diesem Zusammenhang ist die absehbare Massenarbeitslosigkeit unter LKW-Fahrer*innen – einem der wenigen massenhaft verbreiteten Berufe, die nicht nur mit wenig Lern-Aufwand ein (prekäres) Lohnarbeits-Einkommen ermöglichten, sondern den aus der absteigenden unteren Mittelschicht kommenden (fast ausschließlich) männlichen Fahrern ein gewisses Sozialprestige als „Trucker“ verschafften.
Und es bedarf wohl auch psychologisch-ideologischer Kategorien, warum anhand solcher absehbarer Produktivitätsexplosionen im späten Kapitalismus nicht darüber diskutiert wird, dass es innerhalb der kapitalistischen Arbeitskräftekonkurrenz kein Entrinnen gibt aus dem Heer der massenhaft ihrer Erwerbsarbeitsmöglichkeit beraubten „Überflüssigen“. In einer kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft wird gemacht, was betriebswirtschaftlich rational ist – also, was die Rendite des investierten Kapitals ermöglicht und im allgemeinen Konkurrenzkampf einen Vorteil verschafft. All das ist nicht nur beim selbstfahrenden LKW garantiert, sondern längst vielfach geübt im Rahmen der allgemeinen Digitalisierung. Innherhalb der kapitalistischen Logik gibt es keine Lösung für dieses Problem, dass der Kapitalismus in Zeiten der Massenproduktion zwar volkswirtschaftlich angewiesen ist auf eine massenhafte Zahl von Lohnabhängigen, die ihr Geld zum Lebensunterhalt verkonsumieren – dies aber das Gegenteil der betriebswirtschaftlichen Logik ist, dass zur Steigerung der Kapitalrendite (Personal-)Kosten beständig gesenkt werden müssen, was über die Marktkonkurrenz (Preissenkung) angetrieben wird.
Zur Verdeutlichung lohnt ein Blick in eine der Industrien, die ihre Produktivitätsexplosion schon seit längerem erlebt. Die deutsche Druckindustrie hat in nur 15 Jahren die Zahl der dortigen Lohnarbeitsplätze massiv von 220.000 auf 140.000 reduziert – begleitet von einer gleichzeitig stattfindenden massiven Senkung der Reallöhne durch Tarifflucht und Lohndumping durch Outsourcing (Leiharbeit, Werkverträge). Von den 80.000 „Überflüssigen“ dieses Industriezweigs hatten einige das Glück in Rente gehen zu können, hatten einige das Glück, über Sozialpläne den Weg in die Arbeitslosigkeit materiell abmildern zu können. Und es gab auch einige Facharbeiter (Elektriker, Schlosser), die in anderen Industriezweigen unterkamen. Aber vor allem die angelernten „Helfer“, die angehörigen der unteren Lohngruppen, verloren ihren Arbeitsplatz ganz und mussten mitansehen, dass ihr Arbeitsplatzverlust für die kapitalistischen Manager eines der wirkungsvollsten „Argumente“ zur Durchsetzung von betrieblichen Lohnverzichten und Arbeitszeitverlängerungen war.
Die Irrationalität in der Diskussion, um die durch digitale Technologien gespeiste Produktivitätsexplosion, der seit langem kein gleichwertiges „Wachstum“ in „neue“ Produkte und Märkte entgegensteht – führt in der derzeitigen Krisenphase des späten Kapitalismus in den Industrieländern zu einer absehbaren Explosion der Massenarbeitslosikgeit. Die durch „Industrie 4.0 / Arbeit 4.0 “ entstehende Masse „überflüssiger“ Menschen kann nicht verringert werden durch den „Export“ von Arbeitslosigkeit in die Länder der kapitalistischen Peripherie (allgemein „Entwicklungs-“ oder „Schwellenländer“ genannt) – und in der Gesamtzahl auch nicht durch Maßnahmen zur Verbesserung der Stellung in der globalen Marktkonkurrenz (z.B. „Sozialabbau“, „Steuerwettbewerb“, „Senkung der Lohnstückkosten“). Zeitlich befristet könnte lediglich die in der neoliberalen Ideologie „verbotene“ Umverteilung der Produktivitätsfortschritte an die Lohnarbeitenden (vor allem durch massive Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich) Luft verschaffen (zeitlich befristet, weil das die ökologischen Folgen der derzeitigen Produktionsweise nicht löst). Weil die absehbare Realität aber verleugnet wird, gibt es auch keine Diskussion darüber, mit welchen Mitteln die Folgend er Produktivitätsexplosion zu behandeln sind. „Natürwüchsig“ bricht sich damit die „unbewußte“ Reaktion auf die kapitalistische Produktionsweise und ihre Krisen Bahn. Im konkreten Beispiel: anstatt darüber zu reden, was mit hunderttausenden LKW-Fahrer*innen geschehen soll, denen die Möglichkeit zur Lohnarbeit durch die Digitalisierung ihres Berufs genommen wird; verlegen sich Betroffene und Gesellschaft auf die Hoffnung, dass schon irgendein gütiger Diktator (Modell Donald Trump) seinen Kapitalistenfreunden den Einsatz selbstfahrender LKW verbieten wird.
Nebenbei: Transportlogistik ist zwar zentraler Bestandteil aller Wertschöpfungsketten in der arbeitsteiligen Gesellschaft. Aber Digitalisierung findet nicht nur bei selbstfahrenden LKW statt. Deshalb ist nicht nur von LKW-Fahrer*innen zu reden, sondern auch von Taxi- und Busfahrer*innen, von Lieferdiensten, von Supermarkt-Kassierer*innen, von Büro-Sachbearbeiter*innen und vielelm mehr.
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