1962: Mathematiker warnt

Im Jahr 1962 publizierte der Mathematiker Benoît Mandelbrot einen Aufsatz, der jetzt wieder diskutiert wird. Seine These: Während eines Jahres passiere an den Finanzmärkten bis auf einen Tag nicht viel. Aber an diesem einen Tag entscheide sich Bankrott oder Milliardengewinn. Mandelbrots Schlussfolgerung: An den Börsen müsse man sich auf extreme Ereignisse einrichten. Deswegen dürfe man weniger Risiken eingehen, weniger Kredit aufnehmen und weniger Rendite erwarten.

Der Mathematiker, der später als Chaosforscher fraktale Mengen visualisierte („Apfelmännchen“), wurde dafür von der Finanzindustrie verlacht – etwa noch 2005 bei einem Vortrag bei der Deutschen Bundesbank. Es war das nervöse Lachen der Zocker. Denn Mandelbrots These lief ihrem Beruhigungs-Mantra, es gebe nur selten einen Börsencrash, zuwider. Dabei wies dieser eindeutig nach: Nach der konventionellen Theorie dürfte es zwischen 1916 und 2003 nur 58 mal passieren, dass der Dow-Jones-Aktienindex an einem Tag um mehr als 3,4 Prozent steigt oder fällt – tatsächlich geschah das an 1001 Tagen. Theoretisch sollte der Dow nur einmal in 300.000 Jahren um 7 Prozent an einem Tag schwanken. Tatsächlich geschah dies zwischen 1916 und 2003 48-mal.

Die Finanzmarktakteure verhalten sich so wie die Atomlobby: Sie postulieren, dass extreme Gefahren extrem selten sind – und wundern sich dann, wenn die Katastrophen häufiger eintreten als erwartet.

Quelle: Süddeutsche Zeitung, 10.8.2009


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